Im Prinzenzimmer wachen wir auf. Niemand im Haus, dem wir von unserem Abenteuer erzählen könnten. Der Käse von gestern und dieses unzerstörbare Brot füllen unseren Magen… meine Seele atmet unter dem ersten Kaffee nach so vielen Tagen auf. Der Kaffee steht bestimmt schon ’ne Weile hier, aber egal… schmeckt toll… egal, türkisch… Wasser drauf und gut.

Geht los… Richtung Stelzchen, vorbei an so einer kleinen Pferdekoppel. Auf dem Stelzchen waren wir oft: frühstücken, schlafen, Aussicht ins Tal genießen – und der erste Gipfel, auf dem Minas Bruder Levi selbst gestiegen ist, mit so drei Jahren. Wir sehen von einer Rastbank aus in weiter Entfernung die Festung Königsstein. Mina ist beim Waldweg-hoch-meandern darauf gekommen, dass sie ein Musical aus diesem Disneyfilm entwickeln könnte, wo es um die Gefühle geht. Egal, wie der Anstieg ist… es hört nicht auf 😉
Zwischendurch noch ’ne Nachricht im Buch beim Quirl abseilen und weiter geht’s. Stufen, Stufen… Plateau und tadaa… hier sind die Blaubeeren reif. Survival ist halt die Gelegenheit, auf easy Kalorien wahrzunehmen… im Vorbeigehen stopfen wir uns damit voll. Klitzeklein, aber lecker wie Hexe, die Dinger.
Ich sehe den Gorisch schon durch die Baumwipfel blitzen. Sehr nahe gekommen, der Klumpen. An uns vorbei zieht jemand mit einem krassen Pace, hat auch kaum was dabei. Cap auf, Jacke farblich abgestimmt, und der Rucksack sieht aus, als wäre er aus einer Mülltüte genäht. Grüßt und rockt weiter. Mina fragt, wieso der so rennt… haue ohne zu überlegen raus: „Der hat den Schacht mit der Apfelschorle in Leupo leer gemacht und muss jetzt auf’n Pott.“ Mina speit vor Lachen. Ich meine zu ihr dann besonnener, dass es ein Ultraleicht-Trekki ist. Sie meint nur: „Der genießt das aber nicht so, oder?“ Die Wolken kumulieren und es wird bald regnen. Wir richten uns schon mal darauf ein. Und kaum gemacht, geht’s los. Minas Poncho in Signalrosarot gibt endgültig auf. Ich gebe ihr meinen und ziehe mir das 3x3m Tarp drüber. Das Ding habe ich schon fünfmal geflickt, und ich habe das Gefühl, das wird der letzte Kraftakt, den es noch aushält.

Es plattert richtig vom Himmel, die Luft wirkt sofort schwer, aber auch sauber. Man riecht vieles grad intensiver – vorher Pollen, jetzt eher Erde und sowas Öliges… Petrichor? Nen blaues Band tut sich auf und die Sonne streichelt wieder die Baumspitzen. Mina will warten, bis der Regen aufhört in dieser wunderschönen Lichtung. „Wir verpassen sonst den Regenbogen“, sagt sie, und ich verstehe, dass sie das genießt und antworte nur beseelt: „Ja.“ Wir warten – und ja, es ist der schönste Regen und der schönste Regenbogen, den ich gesehen habe.
Wird zwar weniger, aber so richtig hört’s nicht auf. Ich kriege eine E-Mail. Kai von der „alten Gärtnerei“ bestätigt unseren Aufenthalt als „kein Problem“. Motiviert geht’s über Rinnsale, nassglänzende Felsen und durch feuchteschwere Baummeere. Wie breite Gassen, durchzogen von Wasserrinnsalen, bahnen wir uns den Weg durch den Wald. „Alte Gärtnerei 3km“ … und runter, immer weiter runter, über die Felsen und die nicht genormten Stufen 🙂
Dann endlich: links eine Art Feld, rechts eine Baumreihe und Gebäude. Eine Art Hotel, fancy, aber irgendwie hier in dem Ambiente deplatziert. Dann links… Gewächshäuser… wir sind da. Kommen auf den Hof und Kai kommt uns schon entgegen… „Du musst Chris sein“ … der Typ ist mir sofort sympatiko. Er führt uns hinter, zeigt den Aufenthaltsraum mit Boulderwand und Tischkicker, die Kaltdusche und alles Weitere. Wir stehen vor der Wahl: unter den Gewächshäusern zelten oder die selbstgezimmerten Betten, die so einladend groß sind, nutzen… noch bevor wir uns entscheiden, hören wir ein „Kommt rein!“, den Vorhang aus Kletterseilen durchdringen … Es ist der Ultraleicht-Trekki… bietet Mina einen Müsliriegel an. Kai von hinten: „Ihr seht aus, als würdet ihr beide ein kaltes Bier vertragen.“ Ich bin grad so dermaßen angekommen. Mina verdreht die Augen beim Biss in den Riegel. Ich denke, damit ist alles entschieden.

Wir erkunden zusammen das Gelände und Mina hängt sofort am Boulder… woher nimmt die noch die Kraft? fragen wir uns. Der Ultraleicht-Trekki ist Michel, aus Hamburg. Sehr erfahrener Typ. Ist bis hierhin den dritten Tag unterwegs. Also ein Höllenpace, hat der Mann. Aber klar, trägt ja auch kaum was. Der Schlafsack nach eigenen Aussagen zu ambitioniert im Sommer. Klamotten zu wenig, Zahnbürste ganz vergessen, seit Tagen kaut er Zahnputztabletten, zu essen diese Eridanos-Riegel.
Mina stellt die Frage, die ihr auf der Seele brennt: „Aber was kriegst du noch mit, wenn du so schnell an allem vorbei gehst? Mach doch mal ne Pause und genieß die Aussicht.“ Michel schweigt, erzählt dann von einem Abbruch auf dem PCT und dem Fehlen von Antrieb. Sein Ding war es, sich selbst zu optimieren, seine eigenen Rucksäcke zu nähen, um noch leichter zu werden und alles genau auf sich anzupassen, um das Maximum aus den Waden zu holen. „Ich denke, das wird mein letzter Trail hier werden… brauche dann was Neues für mich.“ Wir reden übers Klettern, die Natur hier… unsere Erfahrung der letzten Jahre am Fels. Vielleicht ist das was, meint er.
Mina und ich gehen die Kaltwasserdusche konsultieren… und kochen unsere letzte Mahlzeit auf dem Kocher. Es ist schon so spät, dass wir mit Stirnlampe im Dunkeln essen.
Schlaf gut, Mina, morgen geht’s nach Hause.