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Forststeig 2024 – Anreise & Etappe 1

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Tag 1 (2.8.24) – Cottbus / Dresden Neustadt / Schöna bis zur Grenzbaude

Der Wecker klingelt um 6:00 Uhr. Ich lasse Mina noch schlafen und packe ein paar Sachen um. -0,4 kg beim Essen gespart, dafür +0,355 kg für das Tarp hinzugefügt. Unser Nachbar Ilir bringt uns gegen 7:30 Uhr zum Bahnhof. Um 8:11 Uhr geht’s los Richtung Dresden. Die Tickets sind schon gekauft, alles entspannt. Am Bahnsteig 8 merkt Mina, dass ihr Rucksack mit dem Schlafsack zu schwer ist – Mina -1,3 kg, ich +1,3 kg. Ich schnüre den Schlafsack ins Deckelfach, um mir in engen Räumen Bewegungsfreiheit zu bewahren. Es fühlt sich an, als würde ich bei jedem Türdurchgang in die Knie gehen, wie damals, als ich Levi in der Kraxe hatte und ein Hobbithaus betrat.

Wir schlagen unser Wandertagebuch auf, packen das Essen für Tag 1 aus und stellen fest, dass wir nicht mal unseren Road Trip vom letzten Jahr eingezeichnet haben. Während wir essen, sparen wir noch mal -0,45 kg. Der Typ neben uns führt wilde Telefonate in 95 dB. Beim Ausstieg weise ich ihn freundlich darauf hin, dass er seine Sporttasche vergessen hat. Peinlich berührt bedankt er sich: „Das ist mir noch nie passiert, es waren doch nur 1,5 Bier.“ Es ist 9:24 Uhr.

In Dresden Neustadt steigen wir um, alle Augen sind auf uns gerichtet, als hätten hier noch nie Leute mit Planwagen auf dem Rücken eingecheckt. Nach 25 Minuten kommt die S1 nach Schöna. Forststeigtickets gibt’s am Bahnhof nicht. In der S1 kriegen wir ein 4er-Abteil. Der Doppelstockaufbau hat eine niedrige Deckenhöhe, ich wandle wie ein Cowboy durch die Gänge. Mina schlägt vor, die VeggieGums zu köpfen, und so sei es. Bevor es eskaliert, rette ich noch 50%. -75 g.

Vorbei an nebelverhangenen Gipfeln und Wäldern, alles wird grüner, weniger urban. An einem Halt sehen wir eine Gruppe, die wie eine Mischung aus Forststeigern und Junggesellenabschied aussieht. Sie tragen chinesische Strohhüte, einer eine Federboa, und ein anderer hat sich einen Drachenanus auf den Kopf gesetzt. Wir sehen die ersten Kühe und fahren in eine Witterung, die erahnen lässt, was noch auf uns zukommt.

In Schöna angekommen, treffe ich nicht auf das Drehkreuz des Forsteigs, das ich erwartet hatte, sondern auf strömenden Regen. Neugierige Blicke streifen uns. „Mina, Nässeschutz, im Boden.“ Wir legen die Rucksäcke auf die Sandkisten, holen die Capes raus und justieren die Wanderstöcke auf 110 und 115 cm. An der verspiegelten Scheibe des Bahnhofs klopfe ich und frage nach den Forststeigtickets. Der Mann lacht, weiß von nichts, und schickt mich zum Kollegen bei der Fähre. Der weiß auch nichts.

Wir starten los, Kopfsteinpflaster, 45° Steigung, Sturzbäche vor uns. Ein Schild mit der Forststeigroute begrüßt uns. Ein Balken LTE reicht für einen Anruf – Mailbox. „Die Kollegin ist bis zum 4. im Urlaub.“ Na toll, Murphys Law. Wir beschließen, trotzdem zu starten. Ich hinterlasse eine Nachricht auf der Mailbox, dass wir vor Ort in bar zahlen, falls sie sich melden möchte.

Und los. Erste Senke, ein Balken LTE – wir nehmen ein Video für Mama und Levi auf, aber es kommt nicht durch. Vorbei an einer uns bekannten Wasserquelle – klar, hier war die Weihnachtsfeier der Bergfreunde Cottbus. Der Zirkelstein muss in der Nähe sein. Doch ein Schild leitet uns um, links am Teich vorbei, hoch in die grüne Hölle.

13:08 Uhr, Reinhardtsdorf. Auf irgendeinem opulenten Felsen machen wir die erste Rast. Der Blick ins Tal belohnt uns. Der Weg ist aufgeschwemmt, Märklin-Wasserfälle plätschern den Berg hinab. Bäume liegen quer über dem Weg, drübersteigen, drunterkriechen, je nach Körpergröße. Ein Rauschen zieht uns an. Hoch, runter, hoch. Komoot wird schwer lesbar.

Wir stehen vor einem Flüsschen, umsäumt von wasserschwerem, braunem Schneidgras. Sichtbar sind 0,5 m Breite; beim Stochern mit den Stöcken lässt sich mehr erahnen. Wir verwenden die Trekkingstöcke wie Stabhochspringer und lupfen uns von Ufer zu Ufer, um auf Kurs zu bleiben. Die Sichtweite ist gering, nur ein Gefühl von „richtig“ begleitet uns. Und dann passiert es: Das voluminöse Gras gibt nach, rutschig, und der erste Fuß landet im Flusslauf.

Pause wäre gut, aber hier ist kein Dach überm Kopf, alles total nass. Jedes Abnehmen der Ausrüstung steigert die Gefahr, dass die Schlafsachen durchweichen. Heute über 18 km, bei Regen, und das an einem halben Tag.

15:22 Uhr – die erste WhatsApp kommt durch. Wir schicken eine Antwort bei Wind und Regen zurück, ohne zu prüfen, ob sie verständlich ist. Eine halbe Stunde später die ersten Felsenterrassen. Mina geht aufrecht durch, ich wie ein Cowboy, dennoch gibt’s eine kleine Beule.

Kurz vor 16:00 Uhr, Gipfelfeeling mit Wolfsgeheul, Sichtweite null. Das nasse Gras gibt beim Durchschreiten alles Wasser ab, das es aufgesogen hat. Wasser in den Schuhen, zweiter Halt unter einer Eiche. Wir schlagen abends die Geschichte des Steinkreuzes nach. Ein paar Datteln, und weiter geht’s.

Wir hören Schritte, Zschirnstein, Wolfsgeheul. Auf dem Rückweg treffen wir zwei Personen, die uns entgegenkommen. Beide tragen große Rucksäcke, sichtlich getränkte Regenjacken und schwere Bergstiefel.

Wir geben Gas, die beiden überholen uns später beim Abstieg. Nach 17:00 Uhr, Mina muss auf die Toilette. Der Zschirnstein-Biwak ist in der Nähe, wir biegen ab. Da treffen wir unsere Verfolger vom Zschirnstein: Jacob und Helene. Tolle Menschen. Wir reden, Jacob schneidet Käse mit seiner Machete, und beide hoffen, dass ihre Sachen trocknen. Mina ist zurückhaltend. Ich erzähle, dass unsere Chancen, die Klamotten in der Grenzbaude trocken zu kriegen, wegen des Ofens weitaus höher sind.

Wir beschließen, nicht zu bleiben. Da die beiden noch essen wollen, gehen wir schon mal vor. 4 km, eigentlich etwas über eine Stunde, aber Mina hat den Rucksack auf den Schultern getragen, nicht auf der Hüfte. Sie leidet sichtlich, sagt aber nichts. Die letzten 3 km werden wirklich schwer. Wie die wilde Hölle, nur ohne Griffe. Nass, klamm, rutschig. Wir sehen das erste Haussymbol, noch 1 km. Die Sonne kommt langsam raus.

Wir erreichen die Baude, Jacob und Helene sind überwältigt, dass dieses tolle Haus einfach offen steht. Wir entzünden das Feuer im Ofen, hängen unsere Sachen zum Trocknen auf. Alle sind froh, hier zu sein. Alle realisieren, dass die Hütte keinen Strom und kein Wasser hat. Gebannt sitzen wir vor dem Feuer, als wäre es ein spannender Film. Ich koche nebenbei Essen, während es draußen dunkler wird. Jacob auch. Es gibt Spätzle und Kürbissuppe. Diese Kürbissuppe wird später unfreiwillig zum Motivator.

Wir sind schon lange fertig mit Essen, Jacobs und Helenes Reis ist immer noch hart wie Stein. Ich schlage vor, sie könnten es ja mit Cold Soaking probieren, um den Reis energiefrei vorzugaren. Es riecht köstlich, was die beiden gekocht haben, aber das Knuspern und die mürrischen Gesichter zeigen, dass der Hunger es reintreibt. Mina, gerade noch dabei, mir einzureden, dass wir das Bohnenpiel lernen könnten, äußert beim Auspacken der Karten, dass sie lieber schlafen möchte. Matratzen werden aufgepumpt, Schlafsäcke ausgerollt, Zähne geputzt, Kontaktlinsen raus und… Krabbel, kratz. Ein Marder. Mina schläft. In der Verkleidung über uns versucht etwas durchzudringen. Jacob und Helene starren unten ins Feuer, während ich mit beiden Fäusten an die Verkleidung trommle. Der Marder scheint meinen Wunsch nach Nachtruhe verstanden zu haben. Ich höre ihn nicht mehr. Gute Nacht.

Hier findet ihr unsere Tour: https://www.komoot.com/de-de/tour/1756596446?share_token=aqI77SgBgzLb6cdYQcZXAeQGj0kMias3aWJiAP5lLRHrtYlrRT&ref=wtd

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